Politikwissenschaften

Noch wahrscheinlicher ist, dass ich wieder abgebrochen hätte aber das ist eine andere Geschichte. Während des Zivildienstes hatte ich dann aber viel Zeit um darüber nachzudenken was ich eigentlich will, hab mich online informiert und der Studiengang Kommunikations-und Informationswissenschaften viel mir sofort ins Auge. Er wurde in Nijmegen angeboten, mit einer Fremdsprache dabei, was will man mehr? Also auf zum Tag der offenen Tür und was ich gesehen habe, hat mich überzeugt. So sehr, dass ich schon eine Woche später für den Sprachkurs angemeldet war.

Im ersten Studienjahr fiel mir aber schnell auf, dass der Studiengang zwar interessant, aber für mich zu praktisch war. In den paar Monaten Universität habe ich einen Hang für wissenschaftliches, theoretisches Arbeiten entwickelt und auch mein Gedanke von früher, irgendwas mit Gesellschaft und Politik zu studieren kam in mir wieder auf. Nachdem ich also nochmal alle Broschüren von allen interessanten Studiengängen durchgearbeitet habe und mich diesmal vorher genau mit den Inhalten des Studiums auseinandergesetzt habe, stand die Entscheidung fest: Ab nächstem Jahr studiere ich Politik.

Das ist jetzt bald anderthalb Jahre her und ich kann sagen, dass die Entscheidung wohl die richtige war. Viele Menschen wissen nicht genau was sie sich unter Politikwissenschaften vorstellen sollen und so ist die meistgehörte Frage auch, ob ich später in die Politik gehen möchte. Erstaunt werde ich dann meistens angeschaut wenn ich erzähle, dass eigentlich nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Politikwissenschaftsstudenten aus Nijmegen in die Politik gehen, und dass ich auch nach fast zwei Jahren nicht weiß, wie viele Sitze es eigentlich im niederländischen Unterhaus gibt. Und dann fange ich an zu erklären, dass das Studium in Nijmegen auf drei Säulen steht. Erstens: Staatsphilosophie, oder auch "was haben sich die schlausten Köpfe der Weltgeschichte, von Aristoteles über Thomas von Aquin bis hin zu Thomas Hobbes, John Stuart Mill und Karl Marx eigentlich für Gedanken über die perfekte Gesellschaftsform gemacht und warum waren eigentlich fast alle gegen Demokratie (oder die "Tyrannei der Mehrheit" wie Mill die Demokratie nennt)?"

Zweitens gibt es die Vergleichende Politikwissenschaften, wo verschiedene Staatssysteme, Parteisysteme, Wahlsysteme oder Gesellschaftsmodelle verglichen werden. Warum gibt es in Großbritannien eigentlich nur zwei (vllt. m [bw] ittlerweile drei) wichtige Parteien? Was bedeutet Populismus und wo kamen eigentlich die Grünen her?

Last but not least gibt es die Säule der Internationalen Beziehungen wo wir lernen verschiedene Theorien über internationale Zusammenarbeit oder Konflikte an Hand von verschiedenen Theorien zu interpretieren. Geht es wirklich immer um Macht? Was bedeutet Macht in einer postmodernen Gesellschaft? Leben wir alle in einer großen anarchistischen Welt? Gab es je Klassen, gibt es noch Klassen und sind die irgendwie relevant für die Konflikte unserer Zeit? Wie funktioniert die EU und warum ist Helmut Kohl der Kanzler der Einheit?

Wie ihr seht, das ganze ist viel analytischer und tiefgehender als man vielleicht anfangs erwartet und für mich ist das genau richtig. Aber ihr müsst auch gewarnt werden, ihr solltet gerne viel lesen und auch vor komplexeren Theorien nicht zurückschrecken. Mit dem richtigen Entdeckergeist steht dem aber nichts im Wege und als Deutscher unter einem Haufen Niederländern wird einem auch nicht langweilig. Meine niederländischen Freunde freuen sich immer sichtlich, wenn Sie Ihr Deutsch auch mal anwenden dürfen und lernen gerne mehr über unser Land und die Kultur sowie wie ich viel über die Niederländer und die kleinen aber feinen Unterschiede zwischen den doch so eng verbundenen Länder lerne.

Letzten Endes muss jeder selbst rausfinden ob es ihm oder ihr hier gefällt. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, sich das Ganze mal anzuschauen!